Lebensbeschreibung von Karl Julius Weber



Karl Julius Weber

Karl Julius Weber

(1767 - 1832)


Die hier folgende Lebensbeschreibung ist das von Martin Blümcke verfaßte Nachwort des zweibändigen Werks „Und so verzeiht mein spöttisch Maul“, erschienen im Hans P. Eppinger Verlag Schwäbisch Hall 1966:


Karl Julius Weber wurde 1767 als Sohn eines Rentbeamten in der hohenloheschen Residenzstadt Langenburg geboren. Er besuchte die deutsche und lateinische Schule seiner Vaterstadt, das Gymnasium zu Öhringen und studierte dann in Erlangen Rechtswissenschaft. Hier lernte er das aufklärerische und empfindsame Gedankengut seiner Zeit kennen. 1789 reiste Weber mit hochfliegenden Plänen nach Göttingen, um in der Hochburg der deutschen Aufklärung eine Professur in der Jurisprudenz zu suchen. Dabei hoffte er sicher auf die Unterstützung des berühmten Publizisten und Historikers August Ludwig Schlözer, der ebenfalls aus Hohenlohe stammte. Doch der Plan scheiterte, und der Aufenthalt in Göttingen wurde zum ersten Wendepunkt in Webers Leben.

Der 25jährige nahm für zwei Jahre eine Hauslehrerstelle in der Westschweiz an. Hier wurde Weber mit dem französischen Geist und mit französischer Literatur völlig vertraut, und aus dem Rechtsgelehrten wurde ein Welt-mann. Von Ferne beobachtete er aufmerksam den Gang der Französischen Revolution.

1792 kehrte Weber nach Deutschland zurück. Für ein Dutzend Jahre lebte er als Hofbeamter in verschiedenen kleinen Residenzen. Zuerst war er Privatsekretär und Regierungsrat des Grafen Christian zu Erbach-Schönberg, der als Statthalter des Deutschen Ordens in Mergentheim residierte. Nach dem Tod des Grafen 1799 wurde Weber erster Hofrat der Grafschaft Erbach-Schönberg mit Dienstsitz in Bad König im Odenwald. 1802 wechselte Hofrat Weber in den Dienst des Hauses Isenburg-Büdingen. Man hatte ihm große Versprechungen gemacht, doch die Wirklichkeit sah anders aus. Webers entschiedener, fester Charakter und sein cholerisch-sanguinisches Temperament ertrugen keine Anschuldigungen, die in seinen Augen ungerechtfertigt waren. Nach langen, kleinlichen Verhandlungen willigte Weber in seine Entlassung ein und verließ am 9. April 1804 Büdingen. Dies war der zweite und entscheidende Wendepunkt in seinem Leben. Der erst 37jährige zog sich bitter enttäuscht in seine hohenlohesche Heimat zurück und spann sich dort ein, wie ein Ausdruck von ihm lautet. Weber lebte fortan in der Familie seiner verheirateten Schwester in Jagsthausen, Weikersheim, Künzelsau und Kupferzell. „So gewöhnte ich mich an Einschränkungen, Einsamkeit und rein literarisches Leben - und verfiel sogar auf Schriftstellerei.“ Mit stets gestopfter Pfeife saß Weber in seiner reichhaltigen Bibliothek, die zuletzt 11 000 Bände umfaßte, und las und machte sich Notizen. Nach und nach begann er mit kleinen Ausarbeitungen; und 1819 veröffentlichte der 52jährige sein erstes historisches Werk über ,,Die Möncherei«. Später folgten Arbeiten über das Rittertum und das Papsttum.

Weber führte jedoch nicht nur das Leben eines Einsiedlers, der ganz seinen Studien hingegeben war. Im ersten Landtag des Königreiches Württemberg vertrat er von 1820-1824 das Oberamt Künzelsau. Alljährlich unternahm er eine Reise als nötiges Gegengewicht zu seiner stabilitas loci: Die Frucht seiner Wanderungen, Reiseerfahrungen und Lektüre war das vierhändige Werk ,,Deutschland oder Briefe eines in Deutschland reisenden Deutschen, das zum Reiseführer des Biedermeier wurde.

Im 66. Lebensjahr starb Karl Julius Weber am 19. Juli 1832 in Kupferzell, wo er auch begraben wurde. Sein Grabstein steht heute noch an der Friedhofsmauer.

Weber erlebte nur noch die Veröffentlichung des ersten Bandes seines Hauptwerkes ,,Demokritos«, dem er vorausahnend den Untertitel gab: ,,Hinterlassene Papiere eines lachenden Philosophen«. Fast dreißig Jahre - freilich nicht ohne größere Unterbrechungen - hatte er das Material zu seinem humoristisch-satirischen Werk gesammelt. Aber erst gegen das Ende seiner Tage entschloß sich Weber, seine ,,Enzyklopädie des Lachens“ herauszugeben. Es wurden im ganzen zwölf Bände, die seinen Ruhm postum begründeten.

Ursprünglich wollte der Autor eine umfassende Philosophie des Komischen geben; er wollte das ,,Lächerliche in der Theorie und Praxis, in ästhetischer, literarischer, sittlicher und religiöser Beziehung« darstellen. Doch Weber brach aus dem philosophischen Panzer aus und schrieb in den einzelnen Kapiteln Abhandlungen, Glossen, Essays, Feuilletons über zahllose Spielarten des Lächerlichen.

,,Es ist ungeheuer, was der Mann las und fraß: nämlich Bücher“, schreibt ein zeitgenössischer Kritiker. Solche Urteile sind angesichts der grenzenlosen Belesenheit Webers nicht weiter erstaunlich. Sein mehr reproduktiver als schöpferischer Geist sammelte in enzyklopädischer Manier alles Erreichbare unter dem Gesichtspunkt des Komischen zusammen. So war er befähigt, nicht nur über Scherz und Satire, sondern auch über so entlegene Themen wie Katzen und Badekuren mühelos in feuilletonistischer Art zu schreiben. Die meisten Abhandlungen sind der offenen Form des Essays zuzuordnen. Viele bewegen sich in ihrem lockeren Aufbau auf dem Grenzgebiet von Essay und Feuilleton. Ohne Zweifel ist Weber unter die Mitbegründer des modernen Feuilletons zu zählen.

Das Zusammengelesene wird ergänzt und erweitert durch den reichen Schatz der Weberschen Welt- und Menschenkenntnis. Die überraschendsten Einzelheiten weiß er aus dem Gedächtnis vorzubringen. Ein besonders anziehender Zug à a Montaigne ist es, daß er seine Person einbezieht, daß er den Leser mit seiner Lebensart und Umgebung bekanntmacht. Dazu gehört auch, daß er sein Inneres entblößt, die starken und schwachen Seiten seines Charakters enthüllt. So kann man das Werk als ein „Tagebuch seines inneren Lebens“ und als ein ,,in Rubriken abgeteiltes Tagebuch seiner liebsten und freiesten Gedanken, seiner Lebenserfahrungen und humoristischen Weltbetrachtungen“ bezeichnen.

Der „Demokritos“ war ein ausgesprochenes Lieblingsbuch des liberalen Bürgertums und erlebte bis 1927 fünfzehn Gesamtauflagen, abgesehen von den zahllosen Einzelausgaben und Auszügen in Zeitschriften. Doch der buchhändlerische Erfolg war von einer häufig ebenso abfälligen wie oberflächlichen Beurteilung begleitet. Es gilt die Faustregel: je größer der Erfolg, desto heftiger die Angriffe von seiten der Literaturwissenschaft. Man warf Weber Religionsspötterei, flache Aufklärerei, derbe Zynismen und Anekdotenjägerei vor.

Zur Eigenart des ,,Demokritos“ gehört es, daß man das Buch in homöopathischen Dosen genießen kann. Man kann überall anfangen zu lesen. Dabei ist man sofort von Webers geistreichem, witzigen und flüssigen Stil gefangen, der freilich nicht immer sorgfältig ausgearbeitet ist. Er drängt zu Sentenzen, Bonmots, zu aphoristischer Zuspitzung und bevorzugt den Wortwitz. Dieser unverkennbare Stil ist es letztlich, der das Werk zusammenhält und allem eine angenehm unterhaltende, häufig sogar eine unterhaltende Seite abgewinnt. So wurde der ,,Demokritos“ zum geistreichen, skeptischen und auch wieder besinnlich - heiteren Lebensbuch, das heute wie vor hundert Jahren den Leser in seinen Bann zieht.


Textausschnitte von Karl Julius Weber