Geschichtliche Einleitung aus:


„Kunstdenkmäler der Provinz Brandenburg“ Band I Teil I

S. 30 - 46


Der Kreis Westprignitz

Hrsg.: Brandenburgischer Provinzialverband, Vossische Verlagsbuchhandlung Berlin 1909


unter der Schriftleitung des Provinzialkonservators, Landesbaurats Professor Theodor Goecke bearbeitet von Architekt Paul Eichholz, Privatdozent Dr. Friedrich Solger, Oberlehrer Dr. Willy Spatz


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Vorgeschichtliche Funde


Wenn auch aus dem zweiten und ersten Jahrtausend vor Christi Geburt keinerlei literarische Quellen die Geschichte der Prignitz erhellen, so geben doch zahlreiche vorgeschichtliche Funde von dem Kulturstand der germanischen Ureinwohner der Prignitz eine ungefähre Vorstellung.


Semnonen und Slawen


Zu Zeiten Cäsars und des Kaisers Augustus setzten sich die Römer am Rhein fest. Römische Händler zogen damals, wie zahlreiche Funde silberner, mit den Bildnissen römischer Imperatoren geschmückte Münzen bezeugen, durch die Mark, und auch die vorgeschichtlichen Denkmäler jener Epoche zeigen den Einfluß römischer Kultur.

Die Semnonen im Osten der Elbe, so berichtet Tacitus im 38. Kapitel seiner „Germania“, pflegten ihren Gottheiten in heiligen Hainen geheimnisvolle Menschenopfer darzubringen, und gehörten zu dem großen Volke der Sueven, von denen Tacitus erzählt, daß sie das Haar nach hinten überstrichen und in einem Knoten zusammen banden. Im dritten und vierten Jh. nach Christi Geburt begaben sich die Semnonen auf die Wanderung. In die entvölkerten Lande zwischen Elbe und Weichsel rückten von Osten her zahlreiche slawische Stämme ein.1 So saßen zur Zeit Karls des Großen, wie wir aus den Annalen des fränkischen Reichs erfahren, „Welataben“, von den Franken „Wilzen“ genannt, in der Prignitz. Da diese Slawen in ständige Grenzfehden mit den Sachsen sowie mit den Abodriten im heutigen Mecklenburg, den Bundesgenossen Karls, verwickelt waren, glaubte der König ihren Übermut nicht länger ertragen zu dürfen und durchzog im Jahre 789, weit und breit alles mit Feuer verheerend, ihr Land, bis die Häuptlinge Geiseln stellten und Unterwerfung gelobten. In dem fränkischen Heer befanden sich auch Friesen, die einem Zusatz in den Annalen zufolge „zu Schiff den Havelfluß hinauffahrend“, „navigio per Habolam flumen“, sich mit Karl vereinigten.2 Der Herrscher legte damals links der Elbe auf dem Höhenrücken Höhbeck, „Hohbuki“, gegenüber der Lenzer Wische ein befestigtes Lager an, dessen Reste sich erhalten haben. Unter den Nachfolgern Karls des Großen blieben die Slawen östlich der Elbe zumeist sich selbst überlassen. Erst im zehnten Jahrhundert wurde unter den Sachsenkaisern die Ostmarkpolitik wieder mit Nachdruck aufgenommen.


König Heinrich I.


Im Jahre 929 kam es unter König Heinrich I. auf dem Boden der Prignitz zu einer gewaltigen Schlacht, von der Widukind, ein Mönch von Corvey, einen in klassisch – römisches Gewand gekleideten Bericht überliefert hat.3 Hartnäckig leisteten die Wenden den Legionen der Deutschen bei der Feste „Lunkini“ (Lenzen) so lange Widerstand, bis Graf Thiatmar ihnen 50 Geharnischte in die Flanke schickte und so ihre Niederlage herbeiführte. Tausende von Wenden sollen in den Morästen von der Löcknitz am Rudower See umgekommen sein.


Otto der Große und das Bistum Havelberg


Unter Kaiser Otto dem Großen wurde die planmäßige Eroberung der gesamten Lande zwischen Elbe und Oder und zu gleicher Zeit auch ihre Christianisierung tatkräftig in Angriff genommen. Die Bistümer Havelberg und Brandenburg, vornehmlich für die Zwecke der Mission bestimmt, traten nach längeren Vorbereitungen im Jahre 948 ins Leben. Der Diözese Havelberg wurden die altslawischen, innerhalb der Prignitz gelegenen Gaue Nielezi mit Havelberg, Linagga mit Pochlustini (Putlitz) und Desseri mit Wizoka (Wittstock) zugeteilt, ferner auch die Uckermark und der angrenzende Teil von Pommern, so daß sich der Sprengel als breiter Streifen in der Richtung von Südwesten nach Nordosten, von der Elbe bis zum Haff hinzog; dazu kam noch im äußersten Südwesten der Gau Liezizi unmittelbar an der Elbe.4 Nachdem der Sprengel Havelberg eine Zeitlang unter dem Mainzer Erzbischof gestanden hatte, wurde er im Jahre 968, zur Zeit als Dudo Bischof war,5 dem Sprengel des neugegründeten Erzbistums Magdeburg zugewiesen. Damals führte dem Bericht des aus Spanien kommenden Juden Ibrahim Ibn Jakub zufolge eine aus Holz erbaute, etwa eine halbe deutsche Meile lange Brücke über die Elbe, dort wo bei Quitzöbel die Havel in den Grenzstrom einmündet.6 Weiter erzählt derselbe Reisende: „Wenn die Slawen eine Burg gründen wollen, so suchen sie sich Weideland, das an Wasser und Rohrsümpfen reich ist, und stecken dort einen runden oder viereckigen Platz ab, je nach der Gestalt und nach dem Umfange, den sie der Burg geben wollen. Dann ziehen sie ringsherum einen Graben und häufen die aufgehobene Erde auf. Diese wird mit Brettern und Balken ganz festgestampft. Ist dann der Wall bis zur erforderlichen Höhe aufgeführt, so wird an der geeigneten Seite ein Tor abgemessen und von diesem aus eine hölzerne Brücke über den Graben gebaut“. Die Burgwälle bei Havelberg und Wittenberge gehen auf jene Tage zurück.


Slawische Vorherrschaft vom Ende des 10. Jh. an


Als dem Nachfolger Ottos I., Kaiser Otto II., die Araber 982 in Süditalien eine furchtbare Niederlage beibrachten, loderten in dem eben unterworfenen Slawenlande die Flammen der Empörung auf.; die christlichen Priester wurden erschlagen, die Kirchen verbrannt. Mochte auch Kaiser Otto III. Im Jahre 995 von Havelberg aus Züge gegen die Welataben unternehmen7 und auch einzelne Festen und Ortschaften zerstören, so blieben doch in der Folgezeit die Bischöfe von Havelberg ohne eigentlichen Sprengel, „episcopi in partibus infidelium“8. Ein Versuch des nordsächsischen Markgrafen Wilhelm, die Prignitz zu unterwerfen, endete 1056 mit seinem Tode in einer Schlacht bei Quitzöbel und Werben. Unter den slawischen Häuptlingen machte sich freilich hier und da Hinneigung zum Christentum bemerkbar. So berichtet Adam von Bremen in seiner „Chronik der Hamburgischen Bischöfe“9 von dem Fürsten Gottschalk, zu dessen Gebiet auch die Prignitz gehörte, er habe ein Kloster zu Lenzen begründet, die Hamburger Kirche wie seine Mutter verehrt und oftmals in slawischen Predigten seinem Volk erläutert, was in den Reden der Priester unverständlich erschien. Doch dieser „Makkabäus“ erlitt am 7. Juni 1066 zu Lenzen den Märtyrertod, und mit ihm wurden der Priester Eppo sowie viele Geistliche und Laien erschlagen. Zu Beginn des 12. Jh. machen sich die ersten Anzeichen einer kräftigen vom Herzogtum Sachsen ausgehenden Ostmarkenpolitik bemerkbar. Als die Brizaner10 und Stoderaner in der Gegend von Havelberg und Brandenburg sich fehdelustig zeigten, umlagerte der Abodrite Fürst Heinrich, des Märtyrers Gottschalk Sohn, die Feste Havelberg und erzwang die Unterwerfung. Inzwischen zog sein Sohn Mistue mit 200 Sachsen und 300 Wenden im Lande der Lingonen „durch Wälder, Wasser und große Moore“, bis er die sorglosen Feinde bei Putlitz überfiel und große Beute machte.11 Als Bischof Otto von Bamberg seine Missionsfahrt nach Pommern antrat, konnte er sich 1128 in Havelberg bei dem deutschfreundlichen Slawenfürsten Wirikind mit Vorspann und Wagen versorgen.12


Markgraf Albrecht der Bär


Sechs Jahre darauf übertrug Kaiser Lothar dem mit Otto von Bamberg befreundeten Grafen von Ballenstedt , Albrecht dem Bären, einen großen Teil der heutigen Altmark, damals „Nordmark“ genannt. Damit kommen wir zu dem entscheidenden Wendepunkt in der Prignitz. Nachdem Albrecht sich um 1136 in den endgültigen Besitz des lang umstrittenen Havelberg gesetzt hatte, unternahm er Verwüstungszüge durch die Prignitz, deren slawische Bewohner, Brizaner, Lingonen, Smeldingen und Bethenitzen, politisch zersplittert und wenig widerstandsfähig waren.13 Von 1138 an saßen hier die Deutschen fest im Sattel.


Bischof Anselm


Als Bischof von Havelberg wirkte du dieser Zeit an der in der römischen Literatur wohlbewanderte Prämonstratenmönch Anselm, ein Mann, der Italien gesehen, mit Griechen in Konstantinopel disputiert und vor Päpsten gepredigt hatte. Neben ihn trat um 1151 eine Genossenschaft von Klerikern, das Domkapitel, dessen Mitglieder, etwa 12 an der Zahl, nach der mönchischen Regel der Prämonstratenser lebten. So wurde das Slawentum nicht allein mit dem Schwerte, sondern auch mit den Waffen des Geistes überwunden. Einen Höhepunkt dieser Entwicklung bildet 1170 die Weihe des Havelberger Doms unter dem Bischof Walo.


Deutsche Kolonisation


In dem Jahrhundert von 1150 bis 1250 wetteiferten die Bischöfe und Markgrafen darin, Kolonisten aus Altdeutschland in die menschenleeren, „von den Heiden fast ganz verwüsteten Lande“ zu ziehen.14 Eine große Anzahl entstammte der Altmark und anderen sächsischen Gegenden.15 Niederfränkische Ansiedler ließen sich, wie sprachliche Untersuchungen ergeben, im Süden der Prignitz nieder.16 Daneben kamen auch Kolonisten aus Holland, die sich vornehmlich in der Lenzer Wische festsetzten und dort auf den aus der Niederung emporragenden „Wurthen“ ihre Häuser erbauten.17 Die Slawen, an die einige aus dem Slawischen herzuleitende Namen wie Kyritz, Putlitz und Wilsnack, ferner der Ortsname Wendisch-Warnow erinnern, wurden nicht ausgerottet, sonst wäre nicht die Neuanlage eines slawischen Dorfes, „slavicalis villa“, im 13. Jh. urkundlich bezeugt.18 Auch darf man annehmen, daß in dem Kietz bei Lenzen sowie auf dem Wendenberg bei Havelberg sich Slawen hielten. Freilich konnten slawische Bauern, sobald sie ihre Dienste und Abgaben nicht leisteten, dem slawischen Recht zufolge ihres Landes beraubt werden.19 Den deutschen Kolonisten wurden die neu vermessenen Hufen zu freiem, lediglich mit mäßigem Grundzins belastetem Besitz übergeben. Über die Gründung der Dörfer, die zum Teil die längliche Auen- zum Teil die Rundlingsform aufweisen,20 haben sich keinerlei Nachrichten erhalten. Viele der altmärkischen Ortsnamen kehren in der Prignitz wieder, so besonders Formen mit der Endung „hagen“. Manche Ortsnamen haben ihre ursprüngliche Form bis zur Unkenntlichkeit verändert: So wurde aus „Swynekaue“ Schweinekofen, aus „Sarkeleue“ Sargleben.

Dann und wann führen zwei Dörfer gleichen Namens das unterscheidende Beiwort Klein und Groß; „Parva“ weist wohl auf wendische Ortschaften hin, während „Magna“ eine deutsche Neuansiedlung bezeichnet (vgl. Groß- und Klein - Gottschow). Die Gemarkungen der Dörfer umfaßten, wie es überhaupt in der Mark die Regel zu sein pflegt, 30 bis 60 für den Ackerbau bestimmte Hufen. Ortschaften wie Bochin und Garsedow zählen heute nur etwa 300, dagegen Glöwen nahezu 2000 ha, im Durchschnitt haben die alten Dörfer 1000 ha. Wohl der größte Teil des anbaufähigen Landes wurde bereits im 13. Jh. aufgeteilt, und die in der zweiten großen Kolonisationsperiode im 18. Jh. entstandenen Ortschaften, z. B. Neu - Sagast oder Saldernhorst, mußten sich mit Gemarkungen von etwa 100 ha begnügen.


Städte




Die älteste Ortschaft mit städtischem Charakter war Havelberg, das schon 1151 als „urbs“ erwähnt wird. Die übrigen Städte der Prignitz tauchen erst unter der Regierung der Markgrafen Johann I. Und Otto III. (1220 bis 1266/67) aus dem Dunkel empor, das ihre Gründung umgibt. Perleberg, das bedeutendste Gemeinwesen, sowie auch Wittenberge unterstanden damals den Edlen zu Putlitz,21 in Havelberg übten Kapitel und Bischof maßgeblichen Einfluß aus; in Lenzen geboten die Grafen von Schwerin. In der Verfassung lehnten sich die Städte an Vorbilder in der Altmark an, und so wurden Lenzen und Perleberg mit Salzwedeler Stadtrecht begabt.

Über die Anfänge des Zunftwesens sind wir nur bei Perleberg und Havelberg unterrichtet: dort erscheinen die Schuhmacher und bald auch die Gewandschneider, hier die Fleischer frühzeitig zünftisch organisiert.

Auf den Flüssen, die nicht durch die Städte hindurch, sondern an ihnen vorbeiflossen, wurde Schiffahrt eifrig betrieben, und zwar selbst auf kleinen Flüßchen wie der Stepenitz, auf deren von Zeit zu Zeit künstlich gestautem Wasser die kleinen Fahrzeuge stromabwärts glitten.22 In Perleberg leiteten die Bürger Kanäle zum Zweck des Mühlenbetriebes durch die Stadt. Der quer durch die Prignitz von der mittleren Elbe zu den wendischen Hansestädten an der Ostsee hinführende Handelsweg erwies sich für die städtische Entwicklung als sehr förderlich.

Die Gemarkungen der Städte waren von beträchtlichem Umfang und vergrößerten sich noch in der Folgezeit durch Käufe, so daß selbst kleine Gemeinwesen wie Lenzen heutzutage Feldmarken von über 4000 ha besitzen. Die außerhalb der Stadtmauern gelegenen städtischen Ländereien schützte man durch Landwehren, von denen sich Reste erhalten haben.


Adelsgeschlechter




Im Besitz umfangreicher Herrschaften behaupteten sich unter der Oberhoheit der Markgrafen die Edlen von Putlitz und Plothe, jene im Norden, diese im Südosten, während die Edlen von Havelberg frühzeitig verschwanden. Zudem begegnen wir einer großen Anzahl von Rittern, „milites“, zumeist deutscher, hin und wieder auch slawischer Abstammung; so treten vier edle Slawen, „Slavi nobiles“, in der Urkunde Albrechts II. Von 1208 auf.23

Manche der Prignitzschen Adelsgeschlechter lassen sich bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgen. So wird in der Kyritzer Urkunde von 1237 Johannes de Clintsinc,24 1271 Bertold de Quitzow25 genannt, und als 1274 die askanischen Markgrafen dem Bischof von Havelberg 15 Hufen im Walde von Roddahn verkaufen, erscheint Johannes de Krochere als Zeuge.26


Bischöfe und Kapitel




Die Bischöfe lassen sich von Albrechts des Bären Regierung an in ununterbrochener Reihe verfolgen. Im Jahre 1178 wurde Bischof Hubert durch Erzbischof Wichmann geweiht; 13 Jahre darauf erhielt Bischof Helmbert die Weihe.27 Bischof Sigebodo, von 1206 bis 1219, bereicherte die Kapitelsbibliothek durch einen Kodex der Weltchronik von des Ekkehard von Aura. Bischof Wilhelm empfing vor seiner Weihe die Regalien durch Kaiser Friedrich II.28. Bischof Heinrich II., von 1270 bis 1290, der wie seine Nachfolger von dem Markgrafen durchaus abhängig war, überwies dem Kapitel Einkünfte der Wittstocker Pfarrkirche zur Ausbesserung des Refektoriums beim Dom. Er und seine Nachfolger hielten mit Vorliebe zu Wittstock Hof. Bischof Johann I., 1291 bis 1304, erwarb das Dorf Blantekow sowie das Land Bellin und lies sich von den askanischen Markgrafen Otto und Hermann die Anwartschaft auf Stadt, Schloß und Land Lenzen erteilen.29 Bischof Arnold verkündete 1305 Ablaß für die Wohltäter des Hl. Geist - Hospitals zu Perleberg. Mit den Bischöfen im Wetteifer suchten die Dompröbste und Kapitelsherrn, deren Hauptsitz der Domberg bei Havelberg war, ihren Güterbestand zu vermehren und mehr und mehr in der Prignitz zusammenzuziehen.


Niedere Geistlichkeit


Von den Geistlichen wurde verlangt, daß sie „gut lesen, gut konstruieren, gut singen und angemessen lateinisch sprechen könnten“, „bene legere, bene construere et bene cantare et congrue loqui latinis verbis“.30 Jede Kirche wurde mit Land, durchschnittlich etwa zwei bis vier Hufen, ausgestattet. Die kirchlichen Einkünfte mehrten sich bald, vornehmlich durch die zahlreichen Altarstiftungen, die in Land oder Naturalabgaben bestanden.31 Den Gilden und Zünften galt es als Ehrenpflicht, in den städtischen Pfarrkirchen prächtige Altäre zu errichten, und so präsentierte 1353 die Gewandschneidergilde zu Perleberg einen „Altaristen“ dem Bischof zur Bestätigung.


Askanische und Wittelsbacher Markgrafen


Während die ältesten Askanier vielfach in der Prignitz weilten, - so hielt z. B. Otto I. 1170 auf dem Castrum Havelberg ein „Botding“ ab32 - trat die Landschaft im 13. Jahrhundert hindurch unter der Herrschaft der Markgrafen aus Wittelsbachischem Hause eine den Frieden nötigenfalls erzwingende landesherrliche Gewalt. Wohl fanden sich 1325 die sechs Städte „Parleberch, Pritzwalk, Kiritz, Havelberch, Brigensten und Meigenburch“ mit Prignitzer Mannen, den Königsmarck, Quitzow, Kröcher, Karstedt und Klitzing, vorübergehend zu gemeinschaftlicher Aufrechterhaltung ihrer Sicherheit zusammen,33 doch auf die Dauer liesen sich die Gegensätze zwischen Adel und den Städten, den fehdelustigen Rittern und den selbstbewußten, durch ihre Verbindung mit der Hanse reich gewordenen Bürger nicht überbrücken. Dazu kamen die Unruhen zur Zeit des falschen Waldemar, der 1348 den Perlebergern ein Zollprivileg ausstellte; damals geht der Havelberger mit dem Brandenburger Bischof ein enges Bündnis ein.34


Kaiser Karl IV.


Als im Jahre 1373 der letzte Wittelsbachische Markgraf, Otto der Finne, die Mark käuflich an Kaiser Karl IV. Überließ, verwies er „die Ratmannen und gemeinen Bürger“ der Städte der Prignitz sowie die Ritter Bösel, Rohr, Quitzow, Retzdorf, Kehrberg, Königsmark, Winterfeld, Capelle, v. d. Weyde, Bismarck, Wartenberg, Möllendorf, Karstedt u. a. m. Laut einer zu Strausberg ausgestellten Urkunde an den Luxemburgischen Herrscher.35 Im „Landbuch“ Kaiser Karls von 1375 wird die von den Städten Lenzen, Wittenberge, Perleberg und Havelberg zu leistende „Orbede“ angegeben: ursprünglich eine unmittelbar an den Markgrafen zu leistende Abgabe war sie 1375 größtenteils verpfändet, daher floß von den 27 Mark Silber der Lenzener „Orbeda“ nur noch knapp ein Drittel dem Landesherrn zu. Von den Festen „municiones“, im „Territorium Prignitz“ gehörten sieben, darunter Lenzen, Perleberg, Wittenberge und Havelberg dem Markgrafen, drei Schlösser dagegen, „Wystock“, Plattenburg und „Czechelin“, dem Bischof, dessen Lehensträger Gans zu „Putlist“ saß.36


Zustände um 1400


Unter den schwachen Nachfolgern des bereits 1378 verstorbenen Kaisers, den Markgrafen Sigismund und Jobst, war die Prignitz wegen ihrer großen Zahl von „Räubern“ in ganz Deutschland übel berüchtigt. 1398 nahmen die Bürger von Perleberg die von Grabow gefangen und entliesen sie erst wieder aus der Haft, nachdem sie gelobt hatten, auf ewige Zeiten Frieden zu halten.37 Manche Adlige gelangten damals in den Pfandbesitz landesherrlicher Burgen und Gerechtsame. So setzten sich die Kröcher auf „Friedrichstorf“, heute Fretzdorf, fest, und die Quitzow, die im Besitz von Eldenburg, Kletzke und Stavenow waren, trieben sogar eine weit über die Grenzen der Prignitz hinausreichende, gegen die Städte gerichtete Politik großen Stils.38 Besonders stark ausgebaut wurden die Zwillingsburgen zu Neuhausen, deren eine denen v. Rohr, die andere denen v. Winterfeldt gehörte.39 Die Bischöfe von Havelberg waren keine stillen Gelehrten mehr vom Schlage Anselms, sondern prachtliebende, kriegsgeübte Prälaten. Der 1370 gestorbene Bischof Burchard II. Entstammte dem Hause der Grafen von Lindow; Bischof Johann Möpelitz (1385 bis 1401) bürgerte den Marienkult ein und förderte das Wilsnacker Wunderblut. Die Städte setzten sich in den Besitz landesherrlicher Rechte, so der Gerichtsbarkeit, zogen benachbarte Gemeinden in das Stadtgebiet ein und erwarben vielfach auf dem platten Land Gerechtsame, nämlich Dienste oder Naturalabgaben. Seit Mitte des 14. Jahrhunderts bestand in Perleberg, der Haupt- oder „Sprachstadt“, eine Münze.

Die Verbindung der Städte mit der Hanse, das kühne Hochstreben des Adels, die großartige Bautätigkeit der Geistlichkeit geben der Geschichte jener Tage ein reiches, vielgestaltetes Gepräge. Die Kehrseite der Medaille fehlt freilich nicht: die Zunahme der wüsten Dorfstätten40 und besonders die immer bedrohlicher werdenden Übergriffe der Nachbarfürsten. Im Jahre 1409 erkennt Caspar Gans die Lehensoberherrlichkeit der Herzoge von Mecklenburg an.; die Braunschweigischen Herzöge und die Erzbischöfe von Magdeburg suchen auf Kosten der Prignitz ihr Gebiet zu erweitern. Ja die gesamte Landschaft wird zugleich mit der Altmark von den in steten Geldnöten schwebenden Markgrafen an fremde Fürsten verpfändet; kurz, die Prignitz droht auseinander zu gehen, ihre Verbindung mit der Mittelmark ist gefährdet.


Die ersten Zollern




Als 1412 der „oberste Verweser“ des Königs Sigismund, Burggraf Friedrich VI., in die Mark kam, huldigten ihm wohl die Städte; auch der Bischof ließ sich seine Gerechtsame bestätigen, doch Caspar Gans, der von Jobst zum Hauptmann der Prignitz mit 100 Schock Groschen Jahresgehalt bestellt war, weigerte sich den Zollern anzuerkennen, und die Quitzows begannen sogar den offenen Krieg.

In den Feldzügen der Jahre 1413/14 brach der Zoller den Trotz der Quitzows, die sich auf ihre Prignitzschen Güter zurückziehen mußten.41 Freilich auch unter den neuen Herrschern hörten die Fehden vorerst nicht auf. 1429 wurde Groß - Gottschow verheert, 1438 Düpow, und im selben Jahre zogen die v. Rohr auf eigene Faust gegen die Herzöge von Mecklenburg zu Felde.42 1444 zerstörten während der Dallminer Fehde die Perleberger eine Winterfeldtsche Burg.43 Noch 1475 wird von Schloß Neuenburg aus durch die Retzdorf Friedensbruch verübt.


Umschwung im 15. Jahrhundert


Doch trotz alledem prägen sich bereits im 15. Jh. die Richtlinien einer neuen Zeit deutlich aus. Je mehr die Zollern festen Fuß fassen, um so wirksamer wahren sie den Rechtsfrieden, so daß um 1500 der Adel sich immer mehr der Landwirtschaft zuwendet und sich mitten im Dorfe ansiedelt.44 Mit den Herzögen von Mecklenburg und den Königen von Dänemark haben die Kurfürsten des öfteren in Städten der Prignitz wie Wilsnack und Wittstock Zusammenkünfte.45 Die Ansprüche der Nachbarfürsten auf Perleberg und Lenzen wird mit Nachdruck gehandhabt und als 1423 die Fürsten von Werle einen Einfall in die Prignitz versuchen, sendet sie der junge Markgraf Friedrich bei Pritzwalk mit blutigen Köpfen heim. Die Grenzen nach Norden hin konnten später in einer für die Mark günstigen Weise geregelt werden.

Der Adel, der auf seine Burgen, und die Städte, die auf ihre Verbindung mit der Hanse verzichten müssen, fügen sich der kurfürstlichen Oberhoheit und lassen sich sogar Besteuerung gefallen. Mit Erfolg weiß Friedrich II. Den Havelberger Bischof dem Einfluß des Erzbischofs von Magdeburg zu entziehen und die Grundlage zu einer Landeskirche zu legen.46 So lernt die Prignitz sich als Teil eines großen Ganzen zu fühlen, um so mehr als ihre Vereinigung mit der Altmark zu einem Fürstentum unter Friedrich dem Fetten, dem tatenscheuen jüngeren Bruder des Kurfürsten Friedrichs II., nicht von langer Dauer war.47 Freilich die Wüstungen werden auch von den Zollern nicht beseitigt, und so blieb Bentwisch nach wie vor eine „wuste Dorfstet“.


Der Klerus im 15. Jahrhundert




Das ganze 15. Jh. hindurch wurde die Landschaft von Scharen der nach Wilsnack ziehenden Pilger durchzogen. Rege genug war das äußere kirchliche Leben. Doch während in den Tagen der Askanier der Klerus auf geistigem Gebiete eine führende Stellung einnahm, wurden jetzt die Jagdliebhaberei der Geistlichen,48 die Gelage der Kalande, die Verstöße des Klerus gegen das Zölibat, die Unwissenheit und Sittenlosigkeit der Havelberger Domherren, die Possenreißerei bei den Passionsspielen selbst von den Bischöfen gemißbilligt, wie aus den Mahnungen des Bischofs Wedego von 1474 hervorgeht. Das Domkapitel scheute sich nicht, aus seinen vielen Patronaten Geld zu ziehen und die Dorfpfarren förmlich zu verpachten.49


Kurfürst Joachim II.


Unter Kurfürst Joachim I. Wurde der lutherischen Lehre gewaltsam der Eintritt in die Mark verwehrt. Sein Nachfolger Joachim II. Nahm bald nach seinem Regierungsantritt in der Domkirche zu Havelberg die Huldigung des Bischofs Busso von Alvensleben entgegen und erwies dem Marienbild auf dem Hochaltar seine Ehrfurcht. Doch schon 1539 ergriff er nach seinem Übertritt selbst die Zügel des Kirchenregiments, nahm 1548 kraft seines oberbischöflichen rechtes nach dem Tode des Bischofs Busso das Bistum Havelberg unter seine eigene Verwaltung und erwirkte, daß sein Sohn Johann Georg zum Bischof gewählt wurde.50 Wohl versuchte das Domkapitel, das er bestehen ließ, unter dem Einfluß des katholischen Eiferers Conradi den immer zahlreicher auftretenden lutherischen „Prädikanten“ zu steuern, und in der Wilsnacker Wallfahrtskirche kam es zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen den Verkündigern der neuen Lehre und den Verteidigern des Wunderwesens. Als der Kurfürst den zerstörer des Wunderbluts gefänglich einziehen ließ, verwendeten sich Städte und Adel einmütig für den Mann, der sich rühmte, „das hellose, aus Geiz und List eines Pfaffen erdachte Blut“ zerstört zu haben, und setzten seine Freilassung durch.


Säkularisationen


Die städtischen Klöster wurden um diese Zeit eingezogen, desgleichen die Mehrzahl der geistlichen Stiftungen; die Einkünfte flossen von nun an in einem „Gemeinsamen Kasten“ zusammen, aus dem Geistliche wie Lehrer besoldet wurden. Die Verwaltung der Dorfpfarren als Sinekuren hörte auf; denn die evangelischen Landgeistlichen schlugen ihren dauernden Wohnsitz im Dorfe auf. Nur das Domkapitel, von dem nach wie vor zahlreiche Adlige und Schulzen Güter und Gerechtsame zu Lehn trugen, überdauerte die reformation freilich in der unveränderten Form einer aus protestantischen Mitgliedern des Landadels bestehenden Körperschaft.51 Die Plattenburg dagegen sowie Wilsnack übernahm zuerst der Kurfürst, bald darauf aber sein Rat Mathias von Saldern.


Friedliche Zeiten


Wenn auch damals infolge des Rückganges der Hansestädte an der Ostsee der Verkehr auf der dorthin führenden Handelsstraße nachließ, so pries doch Wolfgang Jobst die Prignitz, „alldar vorzeiten viel Schnaphahnen gewesen,“ als „ein friedsam, sicher Landt“. Friedensbrecher, wie 1542 der Ritter Wartenberg, wurden unnachsichtlich mit dem Schwerte gerichtet. Die Ermordung des Dietrich von Quitzow durch „gartende“ Landsknechte im Jahre 1593 war ein einzig dastehender Fall. Mitglieder der Familie von Quitzow sicherten als kurfürstliche Hauptleute „mit fünf gerüsteten Pferden“ die öffentliche Ordnung.52 Fast zu sicher fühlte man sich und zeigte nur geringen Eifer, wenn die Kurfürsten den Städten wie Havelberg und Lenzen je 30 bis 40 Mann und von dem Adel einige Lehnspferde verlangten.53


Der dreißigjährige Krieg


Im Jahre 1627 bekam die fast wehrlose Prignitz zuerst die Schrecknisse des dreißigjährigen Krieges zu fühlen, als die Truppen Christians IV. Von Dänemark Havelberg gründlich ausraubten.54 Dann folgte Wallensteinsche Einquartierung, und 1631 rückten die Schweden ein. Doch die Schicksalsstunde schlug im Jahre 1636. Am Scharfenberg bei Wittstock maßen sich die „Völker“ des Kaisers Ferdinand II. Unter Hatzfeld mit den Schweden unter General Baner. Die Schlacht endete mit einer völligen Niederlage der Kaiserlichen.55 Wie die Tiere hausten die schwedischen Soldaten; Frauen und Kinder wurden nackt ausgezogen und in die Moräste versenkt.56 Öffentliche wie Privatgebäude plünderte man aufs gründlichste aus und scheute selbst den Frieden der Klöster nicht. Zudem wurde von dem Heere die Pest eingeschleppt und richtete solche Verheerungen an, daß die wenigen den Kriegswirren entronnenen Prediger kaum Gelegenheit zu Amtshandlungen hatten.57


Statistisches aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts


Als 1652, vier Jahre nach Abschluß des westfälischen Friedens, der kurfürstliche Landreiter durch die Ortschaften der Prignitz ritt, um die Zahl der Bewohner festzustellen, bemerkte er bei einem großen Bruchteil des kümmerlichen Restes: „Hat weder Sohn noch Knecht“ oder „ist nicht von hier gebürtig, sondern aus Holstein, war vordem kaiserlicher Reuter“ und zumeist fügte er hinzu: „Der Diener des göttlichen Worts fehlt“ (verbi divini minister abest).

Während vor dem Kriege in 256 Dörfern 3425 Bauern und Fischer, 1327 Hüfner, 879 Kossäten und 241 Hausleute wohnten, zählte jetzt die Landschaft nur noch 1327 Hüfner, 879 Kossäten und 94 Büdner. „Die Städte waren zum Steinhaufen verfallen, die noch vorhandenen Einwohner konsumierten sich selbst in ihrer Armseligkeit und jämmerliches Lamentieren lies sich vernehmen.“58 Viele adlige Familien, wie die v. Kröcher, v. Putlitz, v. Quitzow und die v. Wartenberg auf Dergenthin waren in vermögensverfall geraten und genötigt, ihre Güter auf 20 oder mehr Jahre zu verpfänden. Oft genug erscheinen den Spezialrollen der Ritterschaft zufolge „Creditores“ im Besitz der adligen Güter.59


Heilung der Kriegsschäden


Jedoch überraschend schnell hat sich die Prignitz von den Kriegsleiden erholt. Die starke Beimischung mit fremdem Blut, die die Landschaft während des großen Krieges erfahren, hat sich vielleicht nicht ungünstig ausgewirkt. Unter dem starken Schutze des durch den Großen Kurfürsten aufgestellten stehenden Heeres zogen „Oldenländer Bauern“ aus dem Erzstift Bremen herbei; auch die Städte kamen bald wieder in die Höhe, und nicht mehr trieben wie früher „die wehrlosen Zeiten allen Anwachs zum Lande hinaus.“60 Das Tuchmacherhandwerk und die „Braunahrung“ nahmen zu; in Havelberg entstanden lebhafte Schiffswerften. Die adligen Familien, die ihre Rittersitze hatten verpfänden müssen, setzten alles daran, sie wieder einzulösen. Im Jahre 1684 bemerkte der Landreiter Heinrich Möllenbeck, als er die 151 Rittersitze und 251 Dörfer der Prignitz verzeichnete, daß die v. Quitzow in Rühstedt, Kletzke, Grube, Bullendorf und Kuhsdorf, die v. Kröcher zu Lohm, ferner auch die v. Blumenthal und v. Platen, v. Möllendorf und v. Wenckstern, die Edlen zu Putlitz und von Saldern auf ihren alten Gütern angesessen sind. Außer ihnen befanden sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts im Besitz mehrerer Dörfer die v. Jagow, v. Klitzing, v. Königsmarck.61


Einrichtung der Verwaltung in der gesamten Prignitz


Bis zum 17. Jh. hatten sich an der Spitze der Landschaft Landeshauptleute gestanden, deren hauptsächliche Aufgabe die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung war. Von der Zeit des Großen Kurfürsten an wurden die kurmärkischen Kriegs- und Domänenkammern zu Berlin die obere Behörde für den vom Landesherrn ernannten Steuerrat, der die Oberaufsicht über die Städte führte, für die Amtleute, die die Domänen auf Zeitpacht übernommen hatten, und endlich für die zwei bis drei das platte Land verwaltenden Landräte, die von der Ritterschaft, dem Domkapitel, den Vertretern der Stifte und der Domänenämter zu Perleberg gewählt und dem König zur Bestätigung vorgeschlagen wurden.62 Ihre hauptsächliche Aufgabe war die Eintreibung der direkten, auf den Bauern ruhenden Steuern; ferner hatten sie für die „Konservation“ des Bauernstandes zu sorgen und das „Bauernlegen“ zu verhüten.63


Förderung der Landeskultur


Unter Friedrich Wilhelm I. Und Friedrich dem Großen geschah unendlich viel für die Hebung der gesamten Landeskultur. Da 1709, 1730 und 1731 verhängnisvolle Deichbrüche bei Dallmin und Mödlich stattgefunden hatten,64 begründete Friedrich Wilhelm I. Eine „Teich- und Buhnenkasse“.65 Unter seinem Nachfolger wurden 9320 Morgen Bruchland an der Silge und Löcknitz entwässert.66 Die Urbarmachung der zu Lohme gehörigen Hölzer und Brüche nahm man in Angriff, nachdem die den Städten Havelberg und Kyritz im Roddahn zustehenden Holzungsgerechtigkeiten abgelöst waren.67 Immer und immer wieder trieb der große König dazu an, „Brüche und Lüche“ zu entwässern und brav Hopfenbauern einzusetzen“.

Eine Hauptaufgabe sah die Regierung in der „Peuplierung“ des Landes. Die wüsten Feldmarken Warnow, Granzow und Wollnitz wurden in der Zeit von 1747 bis 1756 wieder angebaut; mecklenburgische Kolonisten setzte man in den Jahren 1763 bis 1769 an. Im Jahre 1777 wurde durch die Stadt Perleberg auf der wüsten Feldmark Sperlingsdorf die Kolonie Sperlingsvörde angelegt. So stieg die Zahl der Ortschaften von ungefähr 240 um 1700 auf 310 im Jahre 1780,68 die Einwohnerzahl, die 1734 in den Städten 14505, auf dem platten Lande 39831, insgesamt also 54336 Seelen betragen hatte, belief sich im Todesjahr Friedrichs des Großen auf 73168 Seelen, davon 17522 in den Städten.69


Kriegsleiden


Im siebenjährigen Krieg war die Prignitz ziemlich glimpflich mit einigen französischen und schwedischen Einquartierungen davon gekommen,70 doch eine Zeit schwerer Leiden brach im Herbst 1806 heran.71 Wie die Landschaft von den Franzosen ausgepreßt wurde, hat Willibald Alexis meisterhaft in seinem Roman Isegrimm geschildert. An den Befreiungskriegen nahmen die Bewohner der Prignitz ruhmreichen Anteil, allen voran als Rufer im Streit der aus Lanz gebürtige Turnvater Jahn.


Neuordnung der Verwaltung nach 1813


Die Stein - Hardenbergsche Gesetzgebung und die Verwaltungsreorganisation in den Jahren 1807 bis 1816 hatten für die Prignitz weittragende Folgen. Während noch bis zum Beginn des 19. Jh. zwischen der Altmark und der Prignitz enger Zusammenhang, so hinsichtlich der gemeinschaftlichen ritterschaftlichen Kassen, bestanden hatte, wurden jetzt alle Bande zwischen beiden Landschaften dadurch zerschnitten, daß man die Altmark der neugebildeten Provinz Sachsen angliederte. Nachdem das Amt der Steuerräte in Wegfall gekommen war, erhielten die Landräte auch die Aufsicht über die Städte; eine Scheidung ihrer Amtsbezirke erwies sich als notwendig, und so teilte man 1817 die gesamte Landschaft in die zwei Kreise Ostprignitz und Westprignitz ein.


Besitzverhältnisse in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts


Manche Schranken, die bis dahin zwischen den Ständen der adligen Rittergutsbesitzer, den Bürgern und den Bauern bestanden hatten, kamen in Fortfall, und das wurde von einschneidender Bedeutung für den Großgrundbesitz. Manche der alteingesessenen Familien, die Burghagen, Blumenthal, Wenckstern und Quitzow verschwanden gänzlich oder büßten, wie die Edlen zu Putlitz einen Teil ihres Besitzes ein. Es behaupteten sich die v. Jena, v. Jagow, v. Königsmarck, v. Wartenberg, v. Rohr, v. Saldern, v. Winterfeldt, v. Möllendorf, v. Karstedt, v. Platen, v. Grävenitz, v. Klitzing und v. Kröcher.72 Einige neu geadelten Familien füllten die Lücken aus. Die von Eckardstein machten sich zu Kletzke und die von Freier zu Garz und Hoppenrade ansässig.

Dem Uradel gehörten die von Voß an, die im Jahre 1819 Stavenov erwarben, ebenso wie die v. Wangenheim, die sich zu Eldenburg festsetzten. Im allgemeinen trat ein schnellerer Wechsel im Besitz ein. In dem halben Jahrhundert von 1800 bis 1850 erwarben nahezu 30 dem bürgerlichen Stande angehörige Familien Großgrundbesitz in der Ost- sowie Westprignitz.

Während in den übrigen Kreisen der Mark der Domänenbestand infolge der vielen Verkäufe zusammenschmolz, erfuhr in der Westprignitz trotz der Veräußerung des Amtes Eldenburg der staatliche Grundbesitz durch die 1819 und 1820 erfolgte Umwandlung des Domstifts Havelberg und seiner Güter zu Domänen vorübergehend eine beträchtliche Vergrößerung.73 Doch schon um 1850 waren infolge von Parzellierungen und Veräußerungen die Domänen bis auf 1078 Morgen in den Amtsbezirken Havelberg und Lenzen zusammengeschmolzen.74


Entwicklung des Verkehrs


Ein Menschenalter nach den Befreiungskriegen waren die Wunden der Franzosenzeit vernarbt. Die Hauptverkehrsader der Prignitz bildete damals die von Berlin über Wusterhausen, Kyritz, Perleberg und Lenzen nach Hamburg führende, 1815 erbaute Chaussee, die bei Neu - Schrepkow und Kletzke von der von Genthin her über Havelberg nach Pritzwalk führenden Chaussee geschnitten wurde. Rechnet man dazu die Chaussee von Wittenberge nach Perleberg, so ist damit das Straßennetz in der Westprignitz um 1840 erschöpft. Damals bahnte sich auf dem Gebiete des Verkehrswesens infolge der Berlin - Hamburger Bahn eine Umwälzung an, die materiell zugunsten des westlichen Streifens der Westprignitz ausschlagen sollte. Städte wie Havelberg und Perleberg, die abseits dieser Verkehrsader lagen, bewahrten sich ihr altes Gepräge, nahmen aber auch an Einwohnerzahl kaum zu, während Wittenberge sich allmählich zu einer stark bevölkerten Fabrikstadt entwickelte.


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1über die Einteilung der Slawen vgl. Leskien, Die slawischen Sprachen Norddeutschlands („Im Neuen Reich“, 1871, S. 325

2Dies ist die erste Erwähnung der Havel! Über den Zusammenhang des Wortes Havel mit Haff vgl. Müllenhof, Altertumskunde II, 211

3Vgl. Widukindi Rerum gestarum Saxonicarum Lib. I, Kap. 36; die anderen Quellen wie die Annales Corbeienses, Thiemar von Merseburg, u.a.m. sind verwertet bei Giesebrecht, Wendische Geschichten I, 135 f., III, 248; ferner Waitz, Heinrich I., S. 128.

4Vgl. Curschmann, Die Stiftungsurkunde des Bistums Havelberg (Neues Archiv f. altere dt. Geschichtskunde, 28. Bd., S. 395 f.), und Curschmann, Die Diözese Brandenburg (1906), S. 189 f. Das Werk von Böttger über Diözesan- und Gaugrenzen ist damit völlig überholt.

5Vgl. Sickel, Diplomata Ottonis I, S. 502.

6Vgl. Wigger, Jahrbücher des Vereins f. Mecklenburg. Geschichte (1880), und Westberg, in den „Mémoires de l' académie de St. Pétersbourg, classe histor. Phil. VIII, tome 3 (1899).

7Vgl. Diplomata Ottonis III., No. 174: „actum Havelunberge“.

8Im Chron. Halberst. wird 991 Hildericus, in der Vita Meinwerci 1017 Herico als Bischof erwähnt.

9Vgl. Gesta Hamburgensis aecclesiae pontificum (Mon. Germ. Script. VII, 267 f.).

10Von ihrem Namen, der wohl mit Breza = Birke zusammenhängt, hat man das Wort Prignitz herzuleiten versucht. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Etymologien gibt Vogel, Slawische Ortsnamen der P., S. 42; er deutet den Namen P. Als eine slawische Übersetzung des Namens „Vormark“; vgl. ferner Müschner, Zeitschr. für Etymologie, VIII, 1376

11Vgl. v. Giesebrecht, Wendische Geschichten, II, 194 f.

12Vgl. Ebbonis vita Ottonis (Monumenta German. Script. XII, 861) und Jaffé, Bibliotheca V, 580 ff.

13Vgl. Annales Patherbrunn und Annales Magdeburg. zum Jahr 1136; Bernhardi, Lothar, S. 600 f.; zum folgenden vgl. v. Giesebrecht, Wendische Geschichten, III, 39.

14Vgl. Urk. des Markgrafen Albrecht v. J. 1151, abgedr. Riedel I, 8. Über Kolonisation im allgemeinen handelt v. Sommerfeld, Verfassungs- und Ständegeschichte der Mark (Berlin 1904), S. 96 f.

15Die Übereinstimmung der Ortsnamen Berge, Birkholz, Goldbeck, Horst, Karstädt, Leppin sowie auch vieler adliger Familiennamen deutet darauf hin.

16Vgl. Mackel, Die Mundart der P., im Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung XXXI, S. 68.

17Vgl. Helmolds Chronica Slavorum zum Jahr 1159, ferner Riedel, Codex I, 20; über Urk. des Erzbischofs Wichmann (etwa 1159) betr. „Flamingi“ in Wusterwitz vgl. auch Heinemann S. 470.

18Vgl. Urkunde v. J. 1275, abgedr. Riedel III, 93. Über Herleitung der Ortsnamen aus dem slawischen vgl. Brückner in der Zeitschr. Deutsche Erde (1905 S. 26).

19Vgl. Dranseer Urk., abgedr. Riedel I, 457.

20Mit dem vielumstrittenen Problem hat sich vorzüglich August Meitzen beschäftigt.

21Ein Siegel eines Johannes Gans gibt Voßberg, Siegel der Mark, D. 3, 10; vgl. Bahrfeld, Münzwesen, S. 274.

22Vgl. Riedel I, 73.

23Slawische Vornamen wie Iwan, Pritzbur sind häufig; über die Urk. von 1208 vgl. Riedel III, 89; vgl. ferner Riedel II, 440.

24Riedel III, 341; vgl. Gg. Schmidt, Die Familie v. K., I, 9.

25Riedel I, 245, vgl. auch IX, 6: Urk. von 1295.

26Riedel II, 450.

27Vgl. Hoppe, Magdeb. Geschichtsblätter 1908, S. 23.

28Krabbo, Die ostdeutschen Bistümer (Berlin 1906), S. 53.

29Vgl. Curchmann, Diözese Brandenburg, S. 189.

30Vgl. Riedel I, 36

31Riedel I, 375, 414, 419 und XXV, 17 f.

32Riedel IX, 2; vgl. Spangenberg, Hof- und Zentralverwaltung, S. 12.

33Riedel I, 136.

34Riedel VIII, 264.

35Vgl. Riedel III, 398.

36Ausgabe des Landbuches von Fidicin (1856), S. 26 f.

37Vgl. Riedel I, 170.

38Das Siegel eines Dietrich v. Quitzow aus dem Jahre 1362 gibt Voßberg, Siegel der Mark, D 1, 8.

39Riedel, Suppl. S. 389; „Nuehus“ wird 1373 bereits genannt (Riedel C. III, 1 f.).

40Z. B. Solm, vgl. Riedel I, 91; Zempow, Gr. u. Kl. Raderang, vgl. Riedel I, 455 f.

41W. v. Raumer hat die Quitzows zu verteidigen gesucht, die im Besitz eines ebensolchen Wappen rechts wie die Fürsten nur „ehrliche Fehden“ führten.

42Vgl. Riedel B. IV, 172: Beschwerden der Herzöge von Mecklenburg von 1438 über die Raubfahrten der von Grävenitz.

43Vgl. Gilow, In den Forschungen zur brand.- preuß. Geschichte, 1907.

44Bezeichnend ist der öfters in den Urkunden vorkommende Ausdruck „wohnhaftig“.

45Vgl. Riedel, C. II, 236 f.

46Vgl. Hennig, Die Kirchenpolitik der älteren Hohenzollern in der Mark (1906).

47Riedel C. I, 223: Die Namensform lautet Pryngnis; vgl. auch ebendort S. 285.

48Vgl. Sello, Zur Trachtengeschichte, „Forschungen“ 1891, S. 285; Verbot von 1375 „accipitrem falconem nisum aut hujus modi bajulare.“

49Vgl. die Toppeler Urk. von 1469/70, abgedr. Riedel I, 46 und ferner Riedel I, 19 und III, 94; über die Entweihung der Passionsspiele vgl. Riedel III, 257, ferner Jahrbuch f. Brandenb. Kirchengeschichte (1906), S. 513.

50Vgl. Riedel Codex, Supplem., S. 492.

51Portraits der Domherren in M. F. Seidels Ikonographie (hgg. Von G. G. Küster, Berlin 1751).

52Tempura mutantur - in der Familie v. Quitzow werden Prozesse wegen Nutzung von Ziegelscheunen geführt, und der alte Ludeke v. Quitzow macht der Perleberger Stadtschule reiche Schenkungen. Vgl. Riedel I, 218. 1563 leiht Hans v. Quitow zu Gottberg den Perlebergern 300 Taler (Akten der Fam. v. Quitzow).

53Über die Musterung von 1588 Geh. Staatsarchiv, Rep. 78 I, Nr. 19; vgl. Riedel, Märk. Forschungen I, 367 f., ferner v. Eickstedt, Beiträge S. 139.

54Georg und David v. Winterfeldt mußten sich „elendt und fast nackend in Perleberg retirieren“ (vgl. Geschichte des Geschlechts II 428). Vgl. Riedel, Serapeum, 1840, S. 178: Am 25. April 1627 brachen die Dänen auch in die Kapitelstube ein und nahmen nach gleichzeitigen Berichten viele literarische Schätze hinweg. - Über die monatliche Kontribution von 8079 Taler, 1054 Ochsen, 158 Wisp. Roggen, 3185 Tonnen Bier an Tillys Völker vgl. Möhlens Aufsatz im Märk. Prov. - Blatt, 1818, S. 187.

55Vgl. Rud. Schmidt, Schlacht bei Wittstock (Halle 1876).

56Bericht der Kommissare, Geh. Staatsarchiv, Rep. 21, Prignitz Nr. 114/5.

57Bekmann, V. Teil S. 64; Buchholz erzählt in seiner „Geschichte der Churmark“, von allen Landpredigern zwischen Perleberg und Havelberg sei nur der zu Kletzke übrig geblieben, der alljährlich 3 bis 4 Kinder zu taufen hatte; vgl. hierzu Kopp, Pfarrleben nach dem Großen Krieg, Brandenburgia, 14. Bd. (1905).

58Vgl. Eingabe der fünf Immediatsstädte an den Kurfürsten mit der Bitte um Steuernachlaß vom 15. Nov. 1672, Geh. Staatsarchiv Rep. 21, 114/5; über den Rückgang der Einwohnerzahl, bei Havelberg von 2 bis 3000 auf 750 bis 1000, vgl. Behre, S. 58.

59Vgl. von Eickstedt, Beiträge zu einem neueren Landbuch, S. 343.

60Eingabe der Städte vom 15. Nov. 1632 (Geh. Staatsarchiv); über die Oldenländer vgl. Buchholz, Geschichte der Churmark VI, 147.

61Vgl. von Eickstedt, Beiträge, S. 345 f., ferner Bekmann, V. Teil, Sp. 23.

62Vgl. Lamotte, Abhandlungen (Berlin 1793), S. 13 f. u. Acta Borussica VI, 1, S. 260 ff.

63Freibauernhöfe gab es nur vereinzelt im Amte Eldenburg, vgl. Großmann, Gutsherrlich - bäuerliche Rechtsverhältnisse, S. 52, 64, 90 (Leipzig 1890).

64Vgl. Bekmann IV. Teil, Sp. 957 f.

65Mylius, Corpus Constit. Contin. I, 11.

66Vgl. Borgstede, Beschreibung der Kurmark, S. 351, und Beheim - Schwartzbach, Hohenzollernsche Kolonisationen, S. 36 f.

67Geh. Staatsarchiv, Rep. 21, 113.

68Borgstede gibt in seiner 1788 erschienenen Beschreibung der Kurmark, S. 295 f., eingehende Daten über die Etablissements, die neuangesetzten Büdnerfamilien, die in den Städten neuerbauten Häuser u. s. f. (vgl. Eickstedt, Beiträge, S. 195); vgl. Beheim - Schwartzbach, Hohenzollensche Kolonisationen, S. 584.

69Vgl. Borgstede a. a. O., S. 390.

70Vgl. Buchholz, Geschichte der Churmark I, 16 f. Über die Freude, die man beim Abschluß des Hubertusburger Friedens empfand, siehe den Bericht im Lenzener Pfarrarchiv (abgedr. Jahrbuch der Synode Lenzen III, 41).

71Vgl. v. Bassewitz, Die Kurmark (Leipzig 1847).

72Vgl. Berghaus, Landbuch I, 667 f., II, 18.

73Vgl. Riedel III, 77.

74Berghaus II, 624, 630.